“Tischlein Deck’ Dich” im Ernst-Deutsch-Theater

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Flauschige Ziege mit Charakter

Im diffusen Licht eines finsteren Waldes ist eine Hütte zu sehen. Langsam nähert sie sich dem Blickfeld des flugbegeisterten Zauberers. Er landet holprig, spricht einen Zauberspruch und in Windeseile öffnet sich die Hütte, in der wenig später nacheinander die verstoßenen Söhne des Schneidermeisters Schere empfangen werden sollen. Diesem Magier haftet mit seinen großen Ohren, seiner Unbeholfenheit und dem glitzernden Gewand überhaupt nichts Unheimliches an. Direkt von den Sternen geschickt, hilft er jedem, der seine Hilfe benötigt.

Sehr einfühlsam und kindgerecht ist die diesjährige Märcheninszenierung des Ernst-Deutsch Theaters. >Tischlein Deck’ Dich< nach den Brüdern Grimm gelingt es unter der Regie von Hartmut Uhlemann in Windeseile, die Zuschauenden ab vier Jahren in seinen Bann zu ziehen. Liebevoll hergerichtete Schauplätze (Bühne: Stephanie Kniesbeck), aufwendige Kostüme (Sabine Birker) und hochmotivierte SchauspielerInnen laden zum Träumen und Mitmachen ein.

Ein Spielmann (Matthias Wiebalck) erzählt das alte Grimm-Märchen den Schneidersöhnen, und ehe sich seine drei Zuhörer versehen, befinden sie sich selbst mitten im Geschehen. Mit diesem Kunstgriff umgeht Uhlemann geschickt Unklarheiten in den zeitlichen und räumlichen Abläufen der Geschichte. Der Spielmann übernimmt mehr als die übrigen Akteure die Einbindung der Kinder in die Dramaturgie des Stückes, improvisierend geht er auf Zwischenrufe ein, erzählt Witze und lässt es gar Goldtaler ins Publikum regnen. Er ist der brillante Moderator, der abrupte Szenenwechsel elegant überleitet.

Ebenfalls sehr plausibel gestaltet sich die Metamorphose der Ziege. In der Grimmschen Märchenfassung allenfalls ein Grund für den Rausschmiss der Söhne wird sie hier zu einem sehr flauschigen, etwas selbstsüchtigen Charakter. Koketterie und Reumütigkeit sind im allgemeinen keine Eigenschaften, die einer Ziege zugesprochen werden, doch Katja Geist vereint sie auf ganz entzückende Weise.

erschienen in: taz Hamburg Nr. 5997 vom15.11.1999 Seite 23 Kultur 68 Zeilen

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