Der Finne an sich…
Jimi Tenor auf Partypatroullie
Der Finne an sich liebt Alkohol und schreckt, wenn es an diesem mangelt, auch vor geschmolzenem Bohnerwachs nicht zurück, ist manisch depressiv und hat eine Schwäche für Tango, der eigens für seine schwermütigenden Belange mit Bontempi-Orgel und finnischen Texten modifiziert wurde. Den Tango und die finnischen Texte hat sich Jimi Tenor ausgetrieben. Seine Schwermut tarnt er durch ausnehmend schlechte Rasur und glamouröse Bühnengarderobe. Die Orgel ist geblieben.
Mittlerweile in Barcelona lebend betritt er mit seinem aktuellen Album “organism” (rough trade) neue, musikalische Sphären, die so sonnen- und lichtdurchflutet daherkommen, dass man förmlich die Erleichterung spürt, dem schlimmen Schnee entronnen zu sein. Tenor ist kein Mann des Understatements. Kühn räubert er in der musikalischen Landschaft von alten Serien und so ist es dann auch kein Wunder, dass man sich manchmal innerhalb eines Liedes an “Die Straßen von San Francisco” und “Captain Future” gleichzeitig erinnert fühlt. Hin und wieder schauen zeitgenössische Kollegen wie “Combustible Edison” oder die 70ies Legende Sun Ra in ihren Raumschiffen vorbei und laden auf einen Ausflug ein. Wer möchte, kann das Angebot, mit Jimi und seinen Gästen in den nächsten Spiralnebel zu starten, annehmen. Wie wär’s vielleicht noch mit einen Snack am anderen Ende des Universums? Oder einer Party? Gründe zu feiern gibt es doch wie Sterne am Himmel. Zum Beispiel die Jahrtausendwende und damit den Weltuntergang. Dies sind derzeit nämlich Jimis Lieblingspartygründe (da kommt wohl der depressive Finne in ihm durch).
Genau aus diesem Grunde, um “The Year of The Apocalypse” zu feiern, befand sich Captain Tenors Raumkreuzer am 7. April im Hamburger “Mojo Club” auf Partypatrouille. Wie in funkelnden Sternenstaub gekleidet in einem schwarzen mit Pailletten bestickten Umhang schritt er erhaben durch die Menge seiner Untertanen, um die Bühne zu betreten. Ganz Herrscher des Universums. Bei so erlauchter Präsenz fiel die Party doch weniger hysterisch aus als vielleicht zunächst angenommen. In Coolness und Entspannung verlief diese Audienz sowohl vor als auch auf der Bühne. Man weiß sich ja schließlich zu benehmen. Auch vom Bohnerwachs ist Jimi abgekommen, stattdessen wurde zu Songs wie “My Mind” ein Gläßchen Sekt kredenzt. Gelegentlich kamen zwei Bläser und ein japanischer Gitarrist zum Einsatz. Letzterem kam die ehrenvolle Aufgabe zu, mit seinen rockigen Griffen die musikalische Schonkost in “Ein-Bißchen-Schwieriger-Listening” zu veredeln. Da störte es auch niemanden, dass ihre Majestät schlecht bei Stimme und ihr Saxonphonspiel wenig virtuos war.
Als Jimi Tenors Raumschiff am Horizont entschwand, ließ es drei Dinge zurück: Einen schimmernden Kondensstreifen am Nachthimmel, eine bewußtseinserweiterte, über alle Maßen entspannte Horde Fans und die sengende Erkenntnis: A l l e s ist Sternenstaub…
erschienen: kreiszeitung/das magazin, 17.04.1999